„‚Neue Rechte‘ ist die aktuell größte Gefahr für die Demokratie“

Landesamt für Verfassungsschutz gibt im Haus der Prävention in Wetzlar Einblick in Strukturen und Narrative der Rechtsextremisten

„Um das vorweg deutlich zu machen: Nicht jeder Rechtsextremist ist auch ein Nazi“, sagte Referent Sven Daniel. Er ist als Leiter des Kompetenzzentrums Rechtsextremismus (KOREX) des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz tätig und klärt seit einiger Zeit mit seiner Kollegin Julia Hiepel öffentlich über Rechtsextremismus auf. Im Fokus stehen dabei die „Neuen Rechten“.

„Die ‚Neue Rechte‘ sind aktuell die größte Gefahr für die Demokratie“, erklärte Daniel. Vor einigen Jahren seien die größte Bedrohung für den Staat noch islamistische Terroristen gewesen. Doch Anschläge allein unterwanderten nicht die Demokratie. Die „Neue Rechte“ versuchten genau das – und das recht subtil, wie er verdeutlichte. Sie suchten bewusst den Weg in die Mitte der Gesellschaft, versuchten, diskursfähig zu sein, popkulturelle Themen zu besetzen. „Das reicht von Kunst und Kultur, von Deutschrap bis hin zum Gaming“, erklärte er. Mit für den Rechtsextremismus typischen Narrativen gingen sie dabei in die Diskussion. Ihr Ziel: Einen autoritären Staat aufzubauen, der von Intellektuellen geführt wird. Dabei spielten die Geisteswissenschaften und der Journalismus eine besonders große Rolle. „Die ‚Neue Rechte‘ ist gut situiert, habe studiert. Sie sind nicht diejenigen, die sich sozial abgehängt fühlen“, skizzierte der Leiter des Kompetenzzentrums beim Landesamt für Verfassungsschutz.

Ganz im Gegensatz zu denjenigen, die sie versuchen zu erreichen: Menschen, die sich nicht gehört fühlen, die unzufrieden sind und die nach Aufmerksamkeit suchen. Dass sie dabei mitunter keine rechtsextremen oder gar nationalsozialistische Parolen nutzen, sondern sich nur als rechts darstellen, mache sie umso gefährlicher, wie Julia Hiepel verdeutlichte. Am Beispiel des „Ethnopluralismus“ erklärte sie, dass die „Neue Rechte“ dennoch rechtsextreme Ansichten verbreite, „allerdings geschickter verpackt“: Sie teilten Menschen vordergründig nicht wie die Nationalsozialisten in Rassen ein, sondern würden oberflächlich betrachtet für Vielfalt eintreten. „Aber: Die Vielfalt darf nur existieren, solange sie nicht durchmischt wird. Ähnlich wie in einem Zoo dürfen die einzelnen Tierarten nebeneinander leben, aber mit hochgezogenen Mauern und Zäunen“, veranschaulichte sie.

Was die „Neue Rechte“ mit anderen rechtsextremistischen Strömungen gemeinsam hat, ist der Antisemitismus. „Das Narrativ lautet, Juden haben beispielsweise den Kapitalismus, auch den Sozialismus und die Demokratie erfunden, um das Volk einfacher zu beherrschen“, erklärte Sven Daniel. Sie würdigten politische Entscheidungsträgerinnen und -träger herab, erzählten, dass diese dem Staat schaden würden und ihn nur ausnehmen, beispielsweise durch die Diäten, die sie sich auszahlten, führte Daniel aus.

Vorbilder der „Neuen Rechten“ sind nicht die Nationalsozialisten der 1930er Jahre, sondern die konservativen rechtsextremistischen Politiker der 1920er Jahre – die sich ebenfalls vehement gegen die Demokratie und das Mehrparteienprinzip aussprachen und sich gegen den Liberalismus wandten. „Viele dieser konservativen Köpfe haben keine Karriere unter Adolf Hitler gemacht, sind keine Mitglieder der SA geworden und teilweise sogar ins Exil gegangen. Dennoch waren sie Feinde der Demokratie. Und auf genau diese Politiker berufe sich heute die ‚Neue Rechte‘“, sagte Daniel. Nach außen wirke es also so, als hätten sie nichts mit Nazis gemeinsam, distanzierten sich von Gewalt und Faschismus und werden dadurch anschlussfähiger an Teile der nicht-extremen Gesellschaft. Das zeigten immer wieder Beteiligungen an großen Demonstrationen. Sie versuchten Krisen auszunutzen und seien deshalb aktuell die größte Gefahr für die Demokratie.

An den Vortrag der beiden KOREX-Mitarbeitenden schloss sich eine offene Diskussionsrunde an, die stark von Einzelmeinungen geprägt wurde. Sven Daniel und Julia Hiepel zeigten sich offen für den Diskurs, versuchten, Meinungen mit Fakten entgegenzutreten und Narrative aufzudecken. Einige fachliche Nachfragen zur Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz beantworteten sie ebenso wie die Fragen danach, wie öffentliche Institutionen wie Behörden und Schulen der „Neuen Rechten“ entgegentreten könnten. Fazit der beiden Referierenden war es, die Medienkompetenz zu stärken, eine gute Bildung zu bieten und auf die menschlichen Bedürfnisse einzugehen, also sich offen zu zeigen und den Menschen, die sich von rechtsextremen Ideologien beeinflussen ließen, auf Augenhöhe zu begegnen. „Fragen Sie den Menschen: ‚Warum sagst du das?‘“, empfahl Sven Daniel.

Zu diesem Vortragsabend hatte die Fachstelle für Prävention des Lahn-Dill-Kreises ins Haus der Prävention eingeladen. „Es ist ein kontroverses Thema, aber es ist wichtig, die Fakten zu kennen und über die Vorgehensweise der ‚Neuen Rechten‘ informiert zu sein“, sagte die Inhaberin der DEXT-Fachstelle und Gastgeberin des Abends, Melina Schmidt. Sie dankte den Referierenden für den Vortrag.